Wenn das Unvorstellbare geschieht – und eine Familie nie wieder dieselbe ist.
Zwei reale Verbrechen, journalistisch präzise und emotional tiefgründig erzählt.
Erinnerung als Aufruf zur Gerechtigkeit und Mahnung an die Gesellschaft.
Journalistin mit Gewissen
Seit Jahrzehnten berichtet sie als Gerichtsreporterin über reale Kriminalfälle – mit Haltung.
Verankert in Sachsen
Ihre Fälle stammen aus ihrer Heimat – recherchiert mit Nähe, Respekt und Detailtiefe.
Autorin gegen das Vergessen
„Auf dem Schulweg verschwunden“ ist bereits ihr drittes Werk, das Opfern eine Stimme gibt.
Dezember 2024.
Siglinde Tannert schaut sich zufrieden in ihrem Wohnzimmer um. Wobei – Wohnzimmer trifft es nicht ganz. Weihnachtsstube wäre wohl das bessere Wort. Im großen Fenster strahlt ein Schwibbogen, daneben sorgen Engel und Bergmann für warmen Lichterglanz. In einer Ecke dreht sich gemächlich die dreistöckige Pyramide, die sie und ihr Mann schon zu DDR-Zeiten erstanden hatten – ein echter Kraftakt damals, denn die kunstvoll gedrechselten Weihnachtsartikel aus dem Erzgebirge waren vor allem für den Export bestimmt. Wer so ein Stück ergattern wollte, musste jemanden kennen, der jemanden kannte.
Siglinde, gebürtige Thüringerin und studierte Pädagogin, hatte damals kaum Beziehungen zu den Herstellern der Volkskunst – und erst recht keine Tauschware anzubieten. Ihr Mann Dieter hingegen, ein waschechter Erzgebirger, konnte da eher etwas auftreiben. Und so begannen sie schon vor der Geburt ihres Sohnes 1970, ihr gemeinsames Zuhause in Lößnitz mit all den typischen Dingen zu schmücken, die die Menschen hier so lieben. Jedes Jahr kam etwas Neues hinzu: Räuchermännchen, geschnitzte Figuren, vor allem die pummeligen Engel, die Siglinde ganz besonders ins Herz geschlossen hat. Zu jedem könnte sie eine kleine Geschichte erzählen.
Als sie und Dieter sich einige Jahre nach der Wiedervereinigung entschlossen, in Lößnitz ein eigenes Haus zu bauen, war endlich genug Platz für all die gesammelten Männeln, die für sie zur Weihnachtszeit einfach dazugehören. In diesem Dezember – Siglinde ist inzwischen seit 2006 Rentnerin – haben sie gemeinsam wieder alles vom Dachboden und aus dem Keller geholt. Im Erzgebirge nennt man das liebevoll „Männeln wecken“. Siglinde fühlt sich längst heimisch hier, auch wenn sie 1964 eher unfreiwillig als junge Lehrerin ins westliche Erzgebirge kam.
Wenn sie heute gefragt wird, warum ausgerechnet Lößnitz, antwortet sie oft mit einem Augenzwinkern: „Nicht wegen der Fußballer von Wismut Aue!“ Und dann fügt sie erklärend hinzu: „In der DDR musste man dorthin, wo der Staat einen brauchte – vor allem, wenn man ledig war.“ Es hat nicht lange gedauert, bis sie sich an die neue Heimat gewöhnt hatte – ringsum Wälder, sanfte Hügel, und dann lernte sie Dieter kennen. Als sie sich verliebte, war klar: Das Erzgebirge wurde ihr Zuhause.
Siglindes Blick schweift zufrieden über alle Regale, Borde und Vitrinen in ihrem liebevoll dekorierten Wohnzimmer. Nur eine einzige Figur musste sie in diesem Jahr nicht auspacken und „wecken“ – denn sie steht das ganze Jahr über an ihrem festen Platz: ein kleiner weißer Porzellanengel mit goldfarbenen Verzierungen. Seit dreißig Jahren gehört er einfach dazu. Doch immer wenn Siglinde diesen Engel ansieht, werden ihre Augen feucht. Die Tränen steigen unweigerlich auf, und ein Gefühl von Schwermut legt sich auf ihre Brust. Ihr Herz schlägt schneller. Die Geschichte, die an diesem Engel hängt, lässt sie bis heute nicht los.
Es war an einem Dezembermorgen im Jahr 1993, zur Weihnachtsfeier ihrer Klasse 4b an der Grundschule Lößnitz. Jedes Kind hatte – wie es der Brauch ist – für ein anderes Kind eine kleine Überraschung mitgebracht. „Wichteln“ nennt man das, auch im Erzgebirge. Dass sie als Lehrerin selbst beschenkt werden würde, damit hatte sie nicht gerechnet. Aber sie ahnte sofort, dass der zierliche Michael, der ihr das liebevoll verpackte Päckchen überreichte, nicht allein auf die Idee gekommen war. Hinter dem Geschenk steckte wohl sein Vater Frieder – ein Feuerwehrmann, der sie und die Kinder oft unterstützte und bei dieser letzten Schulveranstaltung des Jahres wieder mit dabei war.
Michael strahlte, als er ihr den kleinen Engel überreichte. Und Siglinde wusste sofort: Dieses Geschenk ist mehr als eine Geste. Es war voller Wärme, voller Unschuld – und voller Bedeutung. Bis heute steht der Porzellanengel an seinem Platz. Und bis heute tut es weh, wenn sie ihn ansieht.
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